Einleitung von Max Henning

1. Die Araber vor Mohammed

Heilige Koran BildZwischen Afrika und Asien, geographisch zwar noch zu Asien gerechnet aber nach Bodenbeschaffenheit, Flora, Fauna und Klima ein Bindeglied zwischen beiden Weltteilen, schiebt sich die ungefüge, Deutschland an Ausdehnung um mehr als das Vierfache übertreffende, jedoch wegen ihrer Unfruchtbarkeit nur wenig Millionen zählende Halbinsel Arabien, in ihrem Innern noch heute eins der unbekanntesten Länder der Welt. Von Syrien und Babylonien durch die Wüste getrennt, zogen die Völkerstürme des Altertums unbemerkt an ihr vorüber, und nur das südliche Arabien stand mit der übrigen Welt in regerem Verkehr . Hier lag Jemen, das glückliche Arabien, und das sagenberühmte Saba, Von hier aus ging schon im grauen Altertum die Gründung des abessinischen Reiches vor sich, und auf dem Höhepunkte ihrer Macht hatten es sich die Sassaniden unterworfen. Ebenso standen im Norden die kleinen Fürstentümer teils zu den Kaisern von Byzanz teils zu den Chosroen im Vasallen-Verhältnis. Im inneren Hochland jedoch, dem Nedschd und dem Hidschâs, dem breiten Landstreifen, der sich nördlich von Jemen stufenartig vom Nedschd zum Gestade des roten Meeres senkt, lebten die arabischen Stämme in völliger Unabhängigkeit und Unberührtheit. Der größere Teil von ihnen, die Beduinen oder Wüstenbewohner, lebten als Nomaden in Haar- oder Tuchzelten, ihre Herden je nach der Jahreszeit von Weideplatz zu Weideplatz innerhalb ihres Stammesgebietes treibend, während sich ein kleinerer Teil in Städten angesiedelt hatte und weit übers Land bis nach Syrien, Jemen und dem Persischen Meerbusen Karawanenhandel trieb. Irgend welches staatliche Gefüge oder Nationalbewußtsein hatte sich noch nicht unter ihnen ausgebildet. Unter den Beduinen herrschten ewige Fehden, die nur durch das strenge, ungeschriebene Gesetz der Blutrache und gewisse heilige Monate eingeschränkt waren. Neben der höchsten patriarchalischen Einfachheit der Sitten und den Tugenden der Gastlichkeit, Freigebigkeit, Ritterlichkeit und Tapferkeit zeichneten sie sich durch Raubsucht und blutdürstige Grausamkeit aus und frönten dem Trunk und Glücksspiel. Das Weib nahm eine sehr tiefe Stufe unter ihnen ein, die Scheidung war im Handumdrehen durch die Formel »Du bist mir wie der Rücken meiner Mutter« vollzogen, Söhne galten als Segen, Töchter als ein Fluch, so daß sie häufig nach der Geburt lebendig begraben wurden. Außerordentlich war jedoch der Familiensinn und das Stammesbewußtsein ausgeprägt; ein Schimpf , einem einzelnen zugefügt, entehrte den ganzen Stamm und rief ihn zum Schutz seines beleidigten Mitglieds unter Waffen. Unter den Künsten ward allein die Dichtkunst aufs leidenschaftlichste zum Ruhme der Helden und der Rosse gepflegt – die uns aus der vormohammedanischen Zeit erhaltenen Gedichte sind die schönsten der arabischen Poesie. Die Schreibkunst hatte kurz vor Mohammed von Syrien aus Eingang in Arabien gefunden; für eine wissenschaftliche Beschäftigung war jedoch noch kein Boden vorhanden. Trotz der Isoliertheit ihres Landes waren die Araber, wenigstens nach ihrer eigenen Tradition, keine Autochthonen, sondern von Norden her eingedrungene Eroberer .

* Ihrer Sprache nach ein Glied der großen semitischen Völkerfamilie, leiteten sich die edelsten, zuletzt unter ihnen eingewanderten Stämme von Ismael, dem erstgeborenen Sohn Abrahams, ab. * Die Mehrzahl der heutigen Forscher sieht in Arabien das Stammland der Semiten. Ihr ursprünglicher Kult war das chaldäische Sabiertum, die Anbetung der Gestirne, der jedoch zu Mohammeds Zeit völlig verderbt und verfallen war . Neben Allah, dem höchsten Gott, der allerdings in den Hintergrund getreten war, hatte jeder Stamm seine Stammesgottheit. Die Engel wurden als Töchter Allahs angesehen und verehrt, zu denen noch eine niedere Stufe der höheren Wesen kam, die Dschinn, gute und böse Dämonen, ursprünglich wohl Naturmächte. Daneben glaubte man an Hexen und Zauberer, während sich vom Glauben ans Jenseits nur die dürftigsten Spuren fanden. Zur Zeit Mohammeds herrschte in Sachen der Religion ein starker Indifferentismus, und Aberglauben und Fetischismus hatte das ursprünglich reinere Gottesbewußtsein so stark überwuchert, daß sich einer von Mohammeds Zeitgenossen darüber äußert:

»Wo sie einen Stein fanden, beteten sie ihn an, oder wo er fehlte, melkten sie ein Kamel über einen Sandhaufen und beteten diesen an.«

Eines der wichtigsten Objekte ihrer Verehrung bildeten heilige Steine wie auch bei den andern semitischen Völkern; das höchste Ansehen genoß bei einem großen Teil der arabischen Stämme der schwarze Meteorstein der Kaaba, des würfelförmigen Tempels zu Mekka im Hidschâs, den der Sage nach die Engel Abraham aus dem Paradiese zutrugen, als dieser die ursprünglich von Adam nach himmlischem Urbild errichtete Kaaba von neuem erbaute, und der anfänglich weiß gewesen aber durch die Küsse sündiger, wenn auch gläubiger Menschen schwarz geworden war . Alljährlich fanden nach der Kaaba große Pilgerfahrten statt, deren Gebiet für Menschen und Tiere heilig erklärt war . Hier in der Kaaba war auch der Kultus der arabischen Gottheiten zu einem Pantheon zentralisiert, indem die Bildnisse der sämtlichen Gottheiten der arabischen Stämme in der Anzahl der Tage im Jahre neben den Bildnissen Abrahams und Ismaels aufgestellt waren. Während aber die Verehrung der Kaaba bis in das graue Altertum zurückreichte, war die Stadt Mekka oder Bekka jüngeren Datums. Im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung entriß Kusai, ein Ahnherr Mohammeds, im Bunde mit den Koreisch, einem Zweig des in jener Gegend hausenden Beduinenstammes der Kinâna, den früheren Hütern der Kaaba das Heiligtum und bewog die Koreisch sich in dem glühend heißen, unfruchtbaren Tal von Mekka anzusiedeln. Die Obhut der Kaaba nebst ihren Privilegien der Versorgung der Pilger mit Proviant und Wasser blieb in Kusais Familie erblich, aus welcher später die Häuser Abd Schems, dem die omajjadischen Kalifen entstammen, und Hâschim den höchsten Ruhm erwarben, wiewohl zu Mohammeds Zeit das Haus Hâschim durch allzu große Freigebigkeit in Dürftigkeit geraten und an Ansehen weit hinter das Haus Abd Schems zurückgetreten war, welches letztere an seiner Statt die kostspieligeren Ehrenämter an der Kaaba übernommen hatte.

2. Mohammed

Im Jahre 570 oder 571, nach gewöhnlicher Angabe am 20. April, in dem »Elefantenjahr«, sogenannt nach dem mit Elefanten ausgerüsteten Heer des Negus Abraha von Abessinien, das dieser gegen Mekka führte, wurde Mohammed, ein Urenkel Hâschims, als der Sohn des Abdallah und der Âmina geboren. Sein Vater war nach der einen Überlieferung bereits vor seiner Geburt gestorben, nach der andern starb er zwei Jahre darauf . Obwohl in dürftigen Verhältnissen – sein Erbteil betrug nur fünf Kamele und eine Sklavin – soll der Knabe nach der Sitte vornehmerer Stadtleute von einer Beduinenamme namens Halîma in der stärkenden Wüstenluft in den Zelten ihres Stammes erzogen sein. Da er jedoch schon seit frühester Jugend an Nervenzufällen litt, die nach weitverbreitetem, auch biblischem Aberglauben auf Besessenheit von bösen Geistern zurückgeführt wurde, soll ihn seine Amme seiner Mutter wieder zurückgebracht haben. In seinem sechsten Lebensjahr starb seine Mutter, worauf ihn sein Großvater Abd el-Mottalib zu sich nahm und bis zu seinem zwei Jahre später erfolgenden Tod mit großer Zärtlichkeit pflegte, ihn der Vormundschaft seines Oheims Abû Tâlib hinterlassend. Da dieser jedoch eine zahlreiche Familie hatte und selber unvermögend war, mußte sich der Knabe, um sein Brot zu verdienen, bei den reichen Mekkanern als Schaf- und Ziegenhirt verdingen. Nach der Überlieferung, welche jedoch den Stempel der Legende auf der Stirn trägt, soll er bereits in seinem neunten Jahr seinen Oheim auf einer Geschäftsreise nach Syrien begleitet haben, wo ein Mönch ihm seine künftige Größe geweissagt hätte. In seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr tritt in Mohammeds äußern Umständen eine große Veränderung ein, indem er in die Dienste einer reichen und vornehmen Witwe, Namens Chadîdscha, trat und für sie, jedoch wohl nur als Kameltreiber, größere Handelsreisen unternahm.

Wiewohl sie bereits vierzig Jahre zählte, fand sie an ihrem Untergebenen so starkes Wohlgefallen, daß sie ihm ihre Hand anbot, die er gern annahm. Trotz des großen Altersunterschiedes von fünfzehn Jahren führte er mit ihr eine äußerst glückliche Ehe, welche noch durch sechs Kinder, zwei Knaben und vier Mädchen, gesegnet wurde, von denen die Knaben jedoch früh starben. Nach dem ältesten derselben legte er sich den Beinamen Abul-Kâsim, Vater des Kâsim, zu. In dieser seiner zweiten Lebensperiode hatte er auch einmal Gelegenheit öffentlich aufzutreten, als sich bei einem Wiederaufbau der Kaaba ein Rangstreit unter den verschiedenen Familien um die Ehre erhob, den schwarzen Stein der Kaaba aufzuheben und an seinen Platz tragen zu dürfen. Mohammed entschied den Streit dahin, daß er den Stein auf einem Teppich von sämtlichen Familienhäuptern tragen ließ. Aus Dankbarkeit gegen seinen Oheim Abû Tâlib nahm er dessen jungen Sohn Alî, der später einer der tapfersten Vorkämpfer des Islams und vierter Kalif ward, zu sich und vermählte ihn, als er herangewachsen war, mit seiner Tochter Fâtime, durch die sich allein sein Geschlecht in ihren beiden unglücklichen Söhnen Hasan und Hussein fortpflanzte. Sonst wissen wir nur sehr wenig von ihm aus diesem Lebensabschnitt; vor allem fehlt uns jegliche zuverlässige Nachricht über seine innere Entwickelung.

Daraus, daß er seinen zweiten Sohn Abd el-Manâf , Knecht des (Götzen) Manâf , nannte, ersehen wir, daß er sich zur Zeit seiner Geburt noch nicht von dem Glauben seiner Väter und Mitbürger losgelöst hatte. Daneben wird uns berichtet, daß er ein durchaus rechtschaffener, allseitig geachteter Mann war, der von ihnen  den Zunamen El-Amîn, der Getreue, erhalten hatte. Seine persönliche Erscheinung wird uns als mittelgroß, jedoch von imponierender Haltung, beschrieben. Auf seinem massigen Kopf kräuselte sich leicht sein schwarzes Haar, unter langen schweren Augenlidern funkelten ruhelos die schwarzen Augen, die Nase sprang adlerartig aus dem ovalen, hellbraunen, von starkem Vollbart umrahmten Antlitz hervor . Sein Haupt thronte über breiten Schultern und weiter Brust, doch war feine Statur eher schlank, und beim Gehen bewegte er stark den ganzen Körper, als ob er einen Berg herunterstiege. Trotz seines kräftigen Baues war seine Konstitution nervös, epileptische oder vielleicht besser hysterische Zustände, verbunden mit Halluzinationen, überfielen ihn schon in seiner Kindheit. Physische Schmerzen waren ihm unerträglich, so daß er, wiewohl er seinen Glauben durch das Schwert verbreitete, nicht eigentlich tapfer zu nennen war .

Ebenso verabscheute er üblen Geruch und parfümierte sich gern mit köstlichen Spezereien. Sein Temperament war zur Melancholie geneigt, doch war er liebenswürdig, beredt und von großer Leutseligkeit. Zwischen seinen Schultern trug er ein eigentümliches Mal, das »Siegel des Prophetentums«. Zu welcher Zeit und durch welche Vorgänge Mohammed in religiöse Zweifel und Kämpfe geriet, läßt sich nicht feststellen. Von bestimmenden Einfluß mag auf ihn sein Verkehr mit Waraka, einem Verwandten seiner Frau, und mit Seid ibn Amr gewesen sein, die zu jener kleinen Gruppe von Männern gehörten, welche bei der Einsicht in die Verderbtheit der Religion ihres Volkes sich um religiöse Erkenntnis bemühten und dabei zum Monotheismus gelangten, sei es, daß sie zum Judentum oder Christentum übergingen oder sich einen eigenen Deismus ausbildeten. Es gab nämlich zahlreiche Juden in Arabien, die nach der Vernichtung ihrer politischen Selbständigkeit in Palästina dorthin geflohen waren und sich bis auf ihren Glauben arabisiert hatten. Ebenso war das Christentum, wenn auch in einer ganz degenerierten Form, durch abessinische Sklaven nach Mekka gebracht, das Bildnis der Jungfrau soll neben den andern arabischen Gottheiten in der Kaaba aufgestellt gewesen sein, die Stadt Nadschrân in Jemen war eine Zeitlang ein christlicher Bischofssitz gewesen, und die an Syrien grenzenden Stämme hatten das Christentum ebenfalls angenommen.

So mangelhaft nun auch Mohammeds Kenntnis von beiden Offenbarungsreligionen sein mußte, – das alte und neue Testament hat er nicht gekannt, sondern an Stelle derselben nur Erzählungen der Juden und Christen, erstere gespickt mit rabbinischen Fabeln, letztere durchsetzt von apokryphen Legenden, vernommen, – so ward sein empfängliches Gemüt doch mächtig von der Idee des einigen Weltschöpfers und des Prophetentums sowie von der Lehre der Auferstehung und des Weltgerichts entflammt und erschüttert. Die Götter seiner Landsleute verblichen ihm zu wesenlosen Götzen, ihre Verehrung erschien ihm ein Greuel, und je mehr sich seine Gotteserkenntnis vertiefte, desto verabscheuungswürdiger erschien ihm das Heidentum seines Volkes und desto heißer erfaßte ihn die Sehnsucht, den reinen Glauben der Erzväter Abraham und Ismael wiederherzustellen. Seinem Hang zu einsamen Grübeleien nachgebend, zog er sich immer häufiger in die wilde Bergeseinsamkeit bei Mekka zurück. Askese und Nachtwachen erhöhten seine nervöse Reizbarkeit, Träume und Halluzinationen regten ihn krankhaft auf , und eines Tages, als er sich auf dem Berge Hirâ befand, in seinem vierzigsten Lebensjahre, im Jahre 610 im Monat Ramadân, erschien ihm plötzlich der Engel Gabriel und rief ihm zu: »Lies!« Auf seine Antwort, er könne nicht lesen, wiederholte der Engel dreimal seine Aufforderung, worauf er zu ihm die erste Offenbarung Sure 96, 1–5 sprach:

»Lies! Im Namen deines Herrn, der erschuf , Erschuf den Menschen aus geronnenem Blut. Lies, denn dein Herr ist allgütig, Der die Feder gelehrt, Gelehrt den Menschen, was er nicht gewußt.«

Verstört von Entsetzen und der Furcht von einem Dämon besessen zu sein, eilte er heim zu Chadîdscha und teilte ihr fein Erlebnis mit. Sie sprach ihm Trost zu, doch blieb er von schwarzen Gedanken gequält, auf eine neue Erscheinung des Engels wartend. Sie blieb jedoch aus, und schon ging er mit dem Gedanken um, sich von einem schroffen Abhang in die Tiefe zu stürzen und der Ungewißheit ein Ende zu machen, als ihm endlich nach einem Zeitraum von fast drei Jahren, der sogenannten Fatra, der Engel Gabriel wiederum in himmlischer Glorie erschien. Zitternd vor Aufregung eilte er heim und forderte Chadîdscha auf , ihn wie bei seinen sonstigen Anfällen mit seinem Mantel zu bedecken. In diesem Zustande daliegend, vernahm er dann die Worte Sure 74, 1–7:

»O du Bedeckter, Steh auf und warne! Und deinen Herrn – verherrliche ihn;
Und deine Kleidung – reinige sie; Und den Greuel, – fliehe ihn! Und sei nicht freigebig, um mehr zu empfahn, Und harr’ auf deinen Herrn in Geduld!«

Hiermit ist der schwere Bann, der auf seinem Gemüt lastete, gebrochen. Diese Offenbarung galt ihm als die göttliche Weihe zum Prophetenamt, und das unerschütterliche Bewußtsein, der von dem einigen Gott erkorene Gesandte zu sein, den Glauben Abrahams wieder herzustellen, als Freudenbote für die Gläubigen, als Strafprediger für die Ungläubigen, mit keinen andern Wunderzeichen ausgerüstet als mit seinen aus gottestrunkener Ekstase hervorsprudelnden Koranversen, verleiht ihm die Kraft, Hohn, Spott, Verachtung und Ächtung zu ertragen, seine Vaterstadt zu verlassen und zu List, Gewalt und Trug zu greifen, bis er als Sieger wieder in Mekka einzieht, um die zahlreichen, einander fortwährend befehdenden Stämme Arabiens unter dem Banner des Islams zu einer streitbaren Glaubensgemeinde zusammenzuschweißen, die hundert Jahre nach seinem Tode das größte Reich, das bis dahin die Welt gesehen, beherrscht. Bei seinem öffentlichen Auftreten als Prophet fand Mohammed anfangs nur wenig Anhang. Seine eigene Familie, insbesondere sein Oheim Abû Lahab, dem er in einer Sure dafür Verderben androht, wandte sich unwillig von ihm ab, und nur Chadîdscha, seine Töchter, sein junger Vetter Alî, sein Freigelassener und Adoptivsohn Seid, und einige andre Mekkaner glaubten an seine Sendung.

Unter den angesehenen Männern Mekkas gewann er vorerst nur zwei Anhänger, den rechtlichen reichen Kaufmann Abû Bekr, den späteren ersten Kalifen, der auch in der Periode der Zweifel und seelischen Kämpfe Mohammeds Freund und Tröster gewesen war, so wie den jungen Othmân, den späteren dritten Kalifen, der jedoch weniger aus Überzeugung als um die Hand von Mohammeds schöner Tochter Nukeija zu gewinnen, zu ihm übertrat. Die übrigen Gläubigen bestanden hauptsächlich aus Sklaven, unter ihnen der Abessinier Bilâl, später der erste Muezzin der Gemeinde, und Frauen, die Chadîdscha gewonnen hatte. Die Koreisch kümmerten sich anfangs nicht viel um die neue religiöse Bewegung. Die einen, wie El-Walîd und Abul-Hakam Amr, von Mohammed Abû Dschahl, Vater der Torheit, genannt, suchten ihn dadurch lächerlich zu machen, indem sie von ihm Wunder oder die angedrohte Strafe verlangten; andre hielten ihn für einen Betrüger, einen wahnwitzigen Poeten oder gar für einen Besessenen. Ernstere Leute wiederum fanden in ihm nichts anders als einen Gesinnungsgenossen von Männern wie Waraka, Seid ibn Amr u. a., den sogenannten Hanifiten.

Da jedoch die Koreisch, sobald Mohammed größeren Anhang gewann, durch den Abfall von den alten Göttern große materielle Einbuße erleiden mußten, da sie ja hauptsächlich von den Pilgern nach der Kaaba lebten, in welcher die Idole verehrt wurden, die Mohammed für Trug erklärte, wuchs ihr Haß und ihre Feindschaft gegen ihn, so daß sie seinen Oheim Abû Tâlib zu bereden suchten, ihm seinen Schutz zu entziehen, was dieser jedoch trotz seines Unglaubens an Mohammeds Sendung aufs entschiedenste ablehnte. Bei der nun entstehenden Verfolgung der Gläubigen waren besonders die schutzlosen Sklaven und Frauen den größten Leiden ausgesetzt. Einige derselben, wie Bilâl, wurden von dem reichen Abû Bekr losgekauft, andern riet Mohammed, ihn äußerlich zu verleugnen. Schließlich gab er ihnen den Rat nach Abessinien zu fliehen, so daß nach und nach gegen hundert Seelen, unter ihnen Othmân, dorthin zum Verdruß der Koreisch entwichen, deren Bemühungen, die Bewegung zu unterdrücken dadurch vereitelt war . Eine Gesandtschaft an den Negus mit der Bitte um Auslieferung der Flüchtlinge verlief ebenfalls erfolglos, da dieser bei einem Religionsgespräch mit ihnen durch die Zitierung der Stellen, die von Jesus handelten, für sie gewonnen ward. Infolge der nun wachsenden Erbitterung seiner Gegner geriet Mohammed ins Schwanken und ließ sich zu einem Vergleich bestimmen. Die Koreisch versprachen ihm, ihn als Gesandten Gottes anzuerkennen, falls er die drei Hauptgottheiten der benachbarten Stämme, Allât, Manât und El-Ussâ anerkennen wollte. Als er daraufhin die 53. Sure vortrug, sprach er V . 19–22:

»Was meinet ihr denn von Allât und El-Ussâ Und von Manât, der dritten Göttin daneben? Sie sind die hochfliegenden Schwäne, Und wahrlich, ihre Fürsprache werde erhofft!«

Aber schon am andern Tag erfaßte ihn die Reue. Er trat von neuem vor das Volk, erklärte die Worte V . 21. 22. für eine Eingebung des Satans und änderte die Stelle so ab, wie sie jetzt lautet. Diese Revokation vermehrte nur die Erbitterung gegen ihn, doch wagten seine Gegner nichts gegen sein Leben zu unternehmen, da seine Familie ihn treu beschützte. Inzwischen war auch das Gerücht nach Abessinien gelangt, daß sich ganz Mekka bekehrt hätte, und einige der Flüchtlinge, unter ihnen Othmân, rüsteten sich zur Heimkehr . In Mekka angelangt, sahen sie jedoch, daß die Sachen übler als zuvor standen, so daß sie wieder in ihr Asyl nach Abessinien zurückkehrten. In dieser schlimmen Zeit gewann Mohammed jedoch zwei einflußreiche Anhänger, seinen tapferen Oheim Hamsa und den jungen feurigen Omar, den späteren zweiten Kalifen, der bisher einer der eifrigsten Widersacher Mohammeds gewesen war und nun neben ihm und Abû Bekr das Haupt des Islams ward. Durch diesen Zuwachs gestärkt und von Omar vorwärts getrieben, hielt Mohammed nunmehr mit seinen Gläubigen öffentlich vor der Kaaba Gottesdienst ab. Aber auch die Gegner ruhten nicht. Da sie das Haus Hâschim nicht dazu bewegen konnten, Mohammed den Schutz zu entziehen, belegten sie es, mit Ausnahme Abû Lahabs, mit dem Bann, Connubium und Commerzium mit ihm untersagend, und hängten die Urkunde feierlich in der Kaaba auf . Über zwei Jahre lang währte der Bann, während welcher Zeit das ganze Haus Hâschim, Gläubige sowohl wie Ungläubige, in der langen, engen Talschlucht Abû Tâlib, östlich von Mekka, mit ihrem Besitz an Herden Zuflucht suchte und nur während der Pilgerfahrt und der heiligen Monate in Sicherheit herauskommen konnte. Da es hierdurch in das höchste Elend geriet und viele der Mekkaner wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen mit den Gebannten Mitleid mit ihrer Lage bekamen, so wurde der Bann nach Verlauf dieser Frist wieder aufgehoben. Doch wurde Mohammeds Lage hierdurch nicht viel besser .

Die Gläubigen wurden nach all den Leiden wankelmütig, Proselyten traten fast gar nicht mehr hinzu, und, um Mohammeds Kummer zu erhöhen, starben zu dieser Zeit seine treue Gattin Chadîdscha, die »Mutter der Gläubigen«, und sein edler Oheim Abû Tâlib, so daß er zeitweilig sogar unter den Schutz seines verhaßten Oheims Abû Lahab treten mußte. In dieser Not suchte er ein Asyl bei den Thakifiten in der Stadt Tâif an der Grenze des Nedschd, welche mit Mekka rivalisierte. Er wurde jedoch mit Steinwürfen verjagt, und erschöpft und verwundet kehrte er wieder um, doch betrat er Mekka nicht eher, als bis ihn der Schutz eines angesehenen Mekkaners zugesichert war . Auf seiner Flucht von Tâif hatte er die Vision von den Dschinn, die sich um ihn scharten und zum Islam bekehrten. Etwas später fällt die nächtliche Vision oder der Traum in den er sich nach Jerusalem getragen und bis zum siebenten Himmel zum unüberschreitbaren Lotosbaum entrückt sah. Nach Chadîdschas Tod heiratete er die Witwe eines Gläubigen und verlobte sich mit der achtjährigen Aischa, der Tochter Abû Bekrs, die er im Alter von zehn Jahren heiratete, und die später unter all seinen Frauen den größten Einfluß auf ihn gewann und in der weiteren Geschichte des Islams eine unheilvolle Rolle spielte.

* * Man hat aus dieser Ehe mit einem reinen Kinde sowie seinen später so zahlreichen Frauen Mohammed nicht mit Unrecht den Vorwurf der Sinnlichkeit gemacht. Aber wenn es auch wahr ist, daß die Weiber nach dem Tode seiner geliebten Chadîdscha das Herz des alternden Propheten ebenso wie einst das Herz Salomos neigten, so vergesse man doch auch nicht zu bedenken, daß mehrere dieser Ehen, wie gerade die mit Aischa, der Tochter Abû Bekrs, sowie mit Hafsa, der Tochter Omars, in erster Linie politische Ehen waren, um diese angesehener Männer durch verwandtschaftliche Bande an sein Interesse zu fesseln, und ferner, daß Vielweiberei unter den Arabern nichts anstößiges besaß, ja daß zu Mohammeds Fürstenstellung geradezu ein großer Harem gehörte.

Aber in der höchsten Not lächelte dem Propheten nach langjähriger Mühsal endlich das Glück. Bei einer Pilgerfahrt nach Mekka hatte Mohammed auch einige Pilger aus der Stadt Jathrib für seine Lehre gewonnen. Die Stadt Jathrib war ursprünglich in den Händen jüdischer Stämme gewesen, war aber gegen Ende des fünften Jahrhunderts von den aus Süden eingewanderten arabischen Stämmen Aus und Chasradsch erobert. Doch waren die Juden in Jathrib geblieben und auf die Stufe von Schützlingen herabgesunken. Im Verkehr mit ihnen waren einige Araber zum Judentum übergetreten, den anderen war wenigstens das Judentum mit seinem Glauben an den einigen Gott und mit seiner Erwartung des Messias bekannt geworden, so daß Mohammeds Lehre hier auf einen fruchtbareren Boden fiel. Zudem stand die Stadt Jathrib mit Mekka in gespanntem Verhältnis, und die beiden Stämme Aus und Chasradsch lebten in fortwährender Fehde, so daß sie sich nach Mohammed als dem Friedensbringer sehnten. Bei der nächsten Pilgerfahrt hatte Mohammed mit zwölf Männern aus den beiden feindlichen Stämmen in Akaba, halbwegs zwischen Mekka und Jathrib eine Zusammenkunft, in welcher diese sich auf die Grundlehren des Islams verpflichteten. Zugleich entsandte er seinen jüngst aus Abessinien zurückgekehrten Anhänger Musab als Prediger und Koranleser mit ihnen nach Jathrib, wo der Islam im Fluge von dem größeren Teil der Stämme Aus und Chasradsch angenommen ward. Bei der nächsten Pilgerfahrt traf er wieder insgeheim mit siebzig Männern aus Jathrib zusammen, las ihnen die wichtigsten Abschnitte des Korans vor und verpflichten sie durch Handschlag und Treueid auf den Glauben, während sie ihrerseits ihm gelobten, ihn bei sich aufnehmen und wie einen der Ihrigen schützen zu wollen. Nachdem Mohammed dann noch zwölf Vorsteher, neun von den Chasradsch, drei von den Aus ernannt hatte, kehrten sie heim. Die Koreisch hatten jedoch von dieser Verbrüderung Kunde bekommen und verhielten sich so feindselig, daß Mohammed den Gläubigen zur Flucht nach Jathrib riet, so daß etwas über hundert Männer mit ihren Familien entwichen, während er noch mit Abû Bekr und Alî zurückblieb. Da nun aber die Koreisch Mohammed zu ermorden beschlossen, flüchtete er sich mit Abû Bekr durch ein Hinterfenster seines Hauses, während sich Alî auf sein Lager legte und mit seinem Mantel zudeckte.

Drei Tage lang blieb er mit Abû Bekr in einer Höhle des Berges Thaur in der Nähe von Mekka versteckt, worauf sie sich auf schnellen Kamelen nach Jathrib aus dem Staube machten, während Alî, den man nach kurzer Gefangenschaft wieder losließ, drei Tage später bei ihnen eintraf . Dies ist die Hedschra oder Flucht, die am 16. Juni 622 stattfand, und von der die mohammedanische Ära ausgeht. Mit der Hedschra beginnt ein neuer Abschnitt in dem Leben Mohammeds. Während er bisher ein verspotteter und verfolgter, nur von wenig Anhängern umgebener Prophet in Mekka gewesen war, wird er hier in Jathrib, das nunmehr zu Medinat en-Nabî, der Stadt des Propheten, oder einfach Medina wird, der Emîr oder Häuptling einer Stadt, wodurch der Prophet in ihm naturgemäß in den Hintergrund tritt und der Gesetzgeber, Politiker und Feldhauptmann zur Geltung kommt. Daher tragen auch die medinensischen Suren einen andern Charakter als die mekkanischen; sie sind neben vereinzeltem Aufblitzen des alten prophetischen Feuers durchaus Prosastücke mit starken gesetzgeberischen Elementen versetzt.

Wenige Tage vor seinem Einzug in Medina hatte Mohammed noch schnell in der kleinen Ortschaft Kufâ nahe bei Medina den Grundstein zu einer Moschee gelegt. Er wurde im Triumph von den Medinensern in die Stadt geführt und die vornehmsten Familien boten ihm wetteifernd ihre Wohnung an. Um jedoch keinen zu verletzen überließ er sich der göttlichen Führung, indem er erklärte dort einkehren zu wollen, wohin ihn sein Kamel trüge. Es führte ihn zu dem Hause Abû Ajjûbs, wo er so lange wohnte, bis für seinen Harem, der damals noch aus einer Gattin bestand, ein einfaches Haus errichtet war, in dem er in der höchsten Einfachheit wie der geringste Medinenser lebte. Nach seiner Ankunft in Medina ging er sofort an die Ordnung der Verhältnisse seiner Gemeinde. Er ließ nahe bei seinem Hause eine große Moschee erbauen und schlichtete den Streit zwischen den Aus und Chasradsch. Die Gläubigen unter den Medinensern erhielten den Namen Ansâr, Helfer, im Gegensatz zu den ausgewanderten Mekkanern, den Muhâdschirûn. Da die letzteren völlig besitzlos waren, stiftete er eine enge Verbrüderung zwischen je einem der Muhâdschirûn und der Ansâr, ein Institut, das jedoch nach der Schlacht bei Bedr wieder aufgehoben wurde.

Außer diesen beiden Parteien seiner Anhänger gab es jedoch noch die große Partei der Munâfikûn, der Halben, der »Heuchler«, die sich zwar nicht feindlich zu Mohammed stellten, ja sogar bisweilen an seinen Unternehmungen teilnahmen, ihn aber, wenn es ihm schlecht erging, im Stich ließen und nichts vom Islam wissen wollten. An der Spitze dieser Partei stand Abdallah ibn Ubei, vor Mohammed der mächtigste Mann in Medina. Mohammed mußte diese Partei aus Diplomatie möglichst schonend behandeln. Mit seiner wachsenden Macht schrumpfte sie immer mehr zusammen, bis sie gänzlich im Islam aufgegangen war . Eine seiner wichtigsten Aufgaben sah Mohammed darin, die zahlreichen Juden Medinas für sich zu gewinnen, so daß sich die ersten medinensischen Suren ausführlich mit ihnen beschäftigen. Er suchte ihnen zu beweisen, daß seine Lehre von ihrer nicht verschieden wäre, und berief sich auf ihre heiligen Schriften, in denen sein Erscheinen geweissagt wäre; außerdem nahm er das jüdische Fasten am Versöhnungsfest an und ließ die Gläubigen beim Gebet anstatt nach Mekka die Richtung nach Jerusalem nehmen. Die Juden konnten ihn als Nichtjuden jedoch unmöglich als Messias anerkennen und trieben ihren Spott mit ihm, so daß er sie wegen ihrer Verstocktheit mit den Höllenstrafen bedrohte und später, sobald es ihm seine Macht erlaubte, den Vernichtungskampf gegen sie führte. Ebenso verlegte er das Fasten auf den Monat Ramadân und ließ die Gläubigen wieder beim Gebet die Richtung nach Mekka einnehmen. Sobald Mohammed seine Stellung in Medina befestigt und die Angelegenheiten seiner Gemeinde geordnet hatte, mußte er, um das Nationalheiligtum für die Gläubigen zu gewinnen, auf die Unterwerfung der Mekkaner sinnen. Er verkündete daher den heiligen Kampf gegen Mekka, nachdem er schon vorher die Bestimmung getroffen, daß kein Gläubiger für einen ermordeten Ungläubigen getötet werden sollte.

Zunächst eröffnete er die Feindseligkeiten durch Auflauern der mekkanischen Karawanen und beschloß nach einigen kleineren Unternehmungen einen Hauptschlag auszuführen. Auf die Kunde, daß eine große reich mit Schätzen beladene Karawane von tausend Kamelen unter Führung Abû Sofjâns, des angesehensten Mannes aus den Abd Schems, aus Syrien zurückkehrte, suchte Mohammed ihr den Weg zu verlegen und sie abzufangen. Abû Sofjân bekam jedoch Wind hiervon und wich Mohammed von der üblichen Karawanenstraße, die über Bedr führte, nach dem Meere zu aus, während er zugleich durch Eilboten aus Mekka Hilfe erbat. Sofort machten sich gegen 1000 Mekkaner, darunter 700 Kamelreiter und 100 Mann zu Pferd in aller Hast auf , doch kamen ihnen unterwegs bereits Abû Sofjâns Boten entgegen, daß er der Gefahr entronnen sei, worauf etwa der dritte Teil der Streiter wieder umkehrte, während die andern beschlossen nach Bedr zu ziehen und dort eine herausfordernde Haltung einzunehmen. Als Mohammed von dem Heranrücken des feindlichen Heeres vernahm, entschied er sich nach Besiegung des Widerstandes der Ansâr, die lieber Beute machen als kämpfen wollten, zunächst den Feind anzugreifen, und nahm mit seiner kleinen todesmutigen Schar von etwas mehr als 300 Mann, darunter etwa 70 Muhâdschirûn, die Brunnen bei Bedr ein. Am andern Morgen stiegen die Mekkaner von dem Sandhügel, auf dem sie sich gelagert hatten und der durch einen nächtlichen Regen aufgeweicht war, von der Morgensonne geblendet zur Ebene gegen das Häuflein der Moslems herunter . Die drei angesehensten Mekkaner, Otba, sein Sohn El-Walîd und Scheiba forderten drei Moslems zum Kampf heraus, worauf Mohammeds Oheim Hamsa, sein Vetter Alî und Obeida ibn El-Hârith antraten. Bald lagen die drei Mekkaner tot am Boden, während auf Seiten der Moslems nur Obeida eine tödliche Wunde davongetragen hatte. Alsdann entbrannte ein ungeordnetes Handgemenge, in dem die Moslems in wilder Wut für alle die erlittenen Martern sich rächend auf die durch den Fall ihrer Führer entmutigten Mekkaner einhieben. Allen voran kämpfte Alî, der allein zweiundzwanzig Gegner erlegte. Bald nach Mittag lösten sich die Mekkaner, ihre Panzer wegwerfend und gegen siebzig Tote und ebensoviel Gefangene hinterlassend, in wilder Flucht auf . Während des Kampfes hatte Mohammed in einer ihm von seinen Anhängern errichteten Laubhütte gebetet, bis er einen seiner Anfälle bekam, der ihm eine Bestätigung der göttlichen Hilfe war .

Er sah tausende von Engeln gegen die Übermacht des Feindes streiten und hob selber eine Hand voll Sand aus und warf sie in symbolischer Handlung gegen den Feind. Die Kunde von der Niederlage und dem Tod so vieler angesehener Männer erweckte ungeheure Bestürzung in Mekka, während in Medina heller Jubel losbrach und Mohammed daselbst nunmehr gefestigt dastand. So unbedeutend das Gefecht an und für sich sein mochte, der moralische Erfolg war nicht abzuschätzen. Denn Gott hatte gezeigt, daß Mohammed sein Prophet war, dem er gegen die Überzahl der Feinde den Sieg verliehen hatte. Weit und breit begannen die Araber voll Erwartung nach Medina hinzuschauen. Bei seinem Einzug in Medina vernahm Mohammed die Trauerkunde von dem Hinscheiden seiner Tochter Rukeija, die ihr Gatte Othmân gepflegt hatte, so daß er nicht an der Schlacht hatte teilnehmen können.

Er erhielt jedoch von der reichen Beute an Kamelen und Pferden nebst anderen angesehenen Medinensern seinen Anteil, während Mohammed den fünften Teil der Beute für sich, d. h. für politische Zwecke, bestimmte. Gleich nach der Schlacht bei Bedr wendete sich Mohammed gegen den jüdischen Stamm der Banû Keinûka, die sich seiner Autorität nicht hatten fügen wollen, und belagerte sie in ihrer Burg einer Vorstadt Medinas. Nach vierzehntägiger Belagerung kapitulierten sie und erhielten auf Abdallah ibn Ubeis Verwendung freien Abzug nach Syrien. Inzwischen dauerten die Feindseligkeiten zwischen Mohammed und den Mekkanern fort, bis diese ihre Rüstungen vollendet hatten. Im Januar 625 zog Abû Sofjân, nunmehr das Haupt der Mekkaner, mit 3000 Mann, unter ihnen viele Kinânabeduinen, 3000 Kamelen und 200 Pferden zur Rache der Niederlage von Bedr aus. Mohammed wollte den Feind in Medina erwarten, um so die gesamten Medinenser zum Kampf für ihre Stadt zu zwingen, jedoch drängte ihn seine streitlustige Mannschaft vorwärts, so daß er mit 1000 Mann, darunter 300 Munâfikûn unter Abdallah ibn Ubei, die ihn kurz vor der Schlacht verließen, auszog. Er nahm seine Stellung am Fuße des Berges Ohod mit dem Gesicht nach Medina, während sich die Feinde zwischen ihm und Medina aufstellten. Während sich unter den Mekkanern 700 Gepanzerte und 100 Bogenschützen befanden, hatte Mohammed gar keine Reiterei und nur 50 Bogenschützen, die er auf der linken Flanke postierte, um die Reiterei des Feindes abzuhalten. Die Schlacht begann wieder mit Einzelkämpfen und tobte besonders heftig um das Banner der Koreisch. Schon neigte sich der Sieg den Moslems zu, die bereits ins Lager gedrungen waren und es zu plündern begannen, als die Bogenschützen ihre Stellung verließen, um ebenfalls an der Beute teilzunehmen.

Da aber brach Châlid, später der wildeste Vorkämpfer des Islams, mit der Reiterei vor und zersprengte die Moslems. Unter den Gefallenen befand sich Hamsa; Mohammed selber geriet in Gefahr und stritt mit Bogen und Speer; ein Steinwurf schlug ihm einen Zahn aus, andre Würfe streckten ihn bewußtlos zu Boden, worauf alle, ihn für tot haltend, in wilder Flucht davonstoben. Einige Getreue, die allein bei ihm aushielten und ihn mit ihrem Leibe deckten, trugen ihn bergan in eine Schlucht, während die Sieger die Verfolgung der Moslems den Berg hinauf nicht fortzusetzen wagten. Als sie vernahmen, daß Mohammed noch am Leben wäre, verabredeten sie ein Stelldichein zum Kampf im folgenden Jahr um dieselbe Zeit bei Bedr, worauf sie mit einem Verlust von zwanzig Mann abzogen. Mohammed dagegen hatte mehr als siebzig Mann und alle die Früchte seines ersten Sieges verloren. Doch erholte er sich durch schnelles Handeln bald wieder von diesem Schlage. Er beschuldigte in seinen Offenbarungen seine Anhänger des Unglaubens und Ungehorsams, schickte gegen die unruhig werdenden Beduinen Streifzüge aus und wendete sich gegen den ihm feindlich gesinnten jüdischen Stamm Nadîr, den er zur Auswanderung teils nach Syrien teils zu den Juden von Chaibar einige Tagereisen von Medina zwang, worauf er das Land unter die Muhâdschirûn verteilte. Gegen Ende des Jahres zog er mit einer starken Truppe nach Bedr und wartete dort auf die Koreisch, die jedoch wegen einer großen Dürre am Erscheinen verhindert waren. Indessen ruhte Abû Sofjân nicht. Nachdem er sich mit den Mohammed feindlichen Stämmen des Nedschd verbündet hatte, zog er im Anfang des Jahres 627 mit einem mehr als 10 000 Mann starkem Heer, in dem sich allein 4000 Mekkaner befanden, gegen Medina.

In dieser Not befestigte Mohammed auf den Rat eines persischen Sklaven, namens Salmân, die Stadt durch einen breiten Graben und Erdwerke, hinter den Graben sein Heer von etwa 8000 Mann aufstellend. Auch der jüdische Stamm Kureiza ging zu Abû Sofjân über, doch vermochten die der Belagerungskunst unkundigen Mekkaner gegen dieses ungewohnte, unarabische Hindernis nichts auszurichten. Schwierigkeiten der Verpflegung, geschickte Diplomatie seitens Mohammeds und das kalte Winterwetter Medinas zwangen nach einem nächtlichen Sturm, der ihnen die Zelte umwarf , die Mekkaner nach einer Belagerung von einem Monat und zehn Tagen zu fluchtartigem Rückzug. Gleich nach ihrem Abzug rief Mohammed die Moslems zum Kampf wider die Kureiza auf und belagerte sie in ihrer Burg, bis sie der Hunger zur Übergabe zwang, woraus Mohammed sämtliche Männer niederhauen, die Weiber und Kinder als Sklaven verkaufen ließ. Nach diesem verunglückten Zug der Koreisch stand Mohammeds Macht höher denn je da. Die Koreisch wurden in die Defensive gedrängt, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie sich ergeben mußten. Nach mehreren kleineren Unternehmungen gegen mehrere Beduinenstämme beschloß er nach sechsjähriger Abwesenheit von Mekka die Pilgerfahrt nach der Kaaba anzutreten.

Von etwa 1500 Mann begleitet, die nur mit dem Schwert, der den Pilgern erlaubten Waffe, ausgerüstet waren, machte er sich im Monat Zul-Kaada zur kleinen Pilgerfahrt auf , doch trauten ihm die Mekkaner nicht, sondern zogen ihm gerüstet entgegen, so daß er nach Hudeibija an der Grenze des heiligen Gebietes von Mekka auswich. Hier kam es zu einem zehnjährigen Waffenstillstand und einem Vertrag, laut dem unter andern Bestimmungen Mohammed im nächsten Jahre Mekka für drei Tage während der Pilgerfahrt betreten dürfe. Wiewohl er in diesem Vertrage nur als Mohammed, Sohn des Abdallah, und nicht als Prophet behandelt wurde, so war er doch hier zum ersten Mal urkundlich als selbständige Macht anerkannt und konnte nunmehr während der zehnjährigen Frist des Waffenstillstandes den Islam ungehindert ausbreiten. Nach seiner Rückkehr unterwarf er die Juden der reichen Stadt Chaibar und beließ sie als Pächter auf ihrem Grund und Boden. Im folgenden Jahre vollzog er mit 2000 Gläubigen die ihm vertraglich gewährte kleine Pilgerfahrt, während welcher sich die Koreisch aus der Stadt entfernten. Während seines Aufenthaltes in Mekka traten Châlid, der Sieger in der Schlacht am Ohod, und Amr, der spätere Eroberer Ägyptens, die tüchtigsten Feldherrn des Islams, zu ihm über . Von nun an griffen seine Unternehmungen immer weiter aus. Der Islam sollte Weltreligion werden, weshalb in seinen Offenbarungen nunmehr der Krieg gegen alle Ungläubigen befohlen wurde.

Er richtete an den Kaiser von Byzanz, den Chosroenkönig von Persien, den Negus von Abessinien und die andern Potentaten Sendschreiben mit der peremptorischen Aufforderung ihn als Gesandten Gottes anzuerkennen, den Islam anzunehmen und sich seiner Herrschaft zu unterwerfen. Allerdings wurden seine Boten mit Hohn und Spott behandelt, und nur der griechische Statthalter von Ägypten antwortete ihm freundlich und machte ihm zwei Sklavinnen zum Geschenk, von denen er die eine, die Koptin Mârija, für sich nahm. Noch in demselben Jahre zog ein Heer von 3000 Moslems unter seinem Adoptivsohn Seid bis in die Gegend des toten Meeres, wo es jedoch bei Muta von einem überlegenen Heer der Griechen aufs Haupt geschlagen ward. Seid fiel, und nur durch Châlids Umsichtigkeit wurden die Trümmer des Heeres gerettet. Doch stellten andere Kriegszüge Mohammeds Ansehen an der syrischen Grenze bald wieder her .

Ein Vertragsbruch der Mekkaner bot Mohammed einen günstigen Anlaß, Mekka nunmehr ebenfalls unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Trotzdem Abû Sofjân nach Medina entsandt ward, um Mohammed zu beschwichtigen, rüstete dieser ein starkes Heer von 10 000 Mann aus und erschien unerwartet im Ramadân 630 vor der heiligen Stadt. Gegen solche Übermacht waren die Koreisch wehrlos, und so mußte der stolze Abû Sofjân im Lager Mohammeds um Gnade bittend erscheinen und den Islam annehmen. Mohammed bewies jedoch als Sieger die äußerste Milde. Er versprach ihm, allen Mekkanern, die sich in ihren Häusern verschlossen halten oder in der Kaaba oder seinem Hause Zuflucht suchen würden, Gnade zu gewähren, worauf er in vier Haufen in die Stadt einzog, wobei nur Châlid mit Ikrima, Abû Dschahls Sohn, in ein kurzes Handgemenge geriet. Mohammeds erstes Werk in der eroberten Stadt war der siebenmalige Ritt um die Kaaba, worauf er dieselbe betrat, das Heiligtum von den Götzenbildern reinigte und in ihm betete. Alsdann ließ er allgemeine Amnestie verkünden, von der nur vier Personen ausgeschlossen wurden. Nachdem der größte Teil der Mekkaner zum Islam übergetreten war, wendete er sich gegen den mächtigen Stamm der Thakifiten und schlug sie nach heißem Kampf , der anfangs bereits für ihn verloren schien, in dem Engpaß Honein. Die ungeheure Beute ward unter die Koreisch und die umwohnenden Beduinen verteilt, um sie für sich zu gewinnen, während die getreuen Ansâr, welche die schon verlorene Schlacht wieder zum Stehen gebracht hatten, nichts erhielten als die Vertröstung, daß er selber ihr Anteil sei und stets bei ihnen bleiben wolle.

Die Stadt Tâif ergab sich erst später . Im folgenden Jahr, das Jahr der Deputationen genannt, empfing Mohammed von allen Seiten die Huldigungen der Beduinenstämme, die sich allerdings nur rein äußerlich zum Islam bekehrten und bei jeder günstig erscheinenden Gelegenheit zum Abfall bereit waren. Mit der Pilgerkarawane nach Mekka entsandte er diesmal Abû Bekr, da er nicht eher Mekka wieder betreten wollte, als bis das Heidentum daselbst gänzlich ausgerottet wäre. Er bestimmte zu diesem Zwecke, daß kein Heide mehr an einer Pilgerfahrt teilnehmen sollte, und daß gegen alle Ungläubigen, die nicht noch durch Verträge geschützt wären, nach Ablauf der heiligen Monate der Vertilgungskrieg beginnen sollte. Auf diese Weise wurde das Heidentum in Arabien schnell ausgerottet, während die Christen und Juden als zinspflichtige Untertanen geduldet wurden; doch gingen die Christen bald im Islam auf ,während die Juden unter Omar aus Arabien gänzlich vertrieben wurden. In das Jahr 631 fällt auch der Zug nach Tabûk zur Unterwerfung der syrischen Grenzstämme, die infolge der Niederlage bei Muta abtrünnig geworden waren. Es war der letzte Kriegszug, den der nach so vielen Anstrengungen schnell alternde Prophet unternahm. Seine letzte Pilgerfahrt, die »Abschiedspilgerfahrt,« trat Mohammed im März des Jahres 632 an.

Vor mehr als vierzigtausend Pilgern hielt er vom Berge Arafât seine Ansprache, in der er ihnen die Satzungen des Islams einschärfte und noch einige neue gab, unter ihnen die Festsetzung der Zeitrechnung nach reinen Mondjahren zu zwölf Monaten. Daß es seine letzte Pilgerfahrt war, scheint er geahnt zu haben, doch klingt das stolze Bewußtsein, sein irdisches Werk vollendet zu haben, aus seinen Abschiedsworten heraus: »Heute habe ich meine Religion für euch vollendet und habe erfüllt das Maß meiner Huld gegen euch; und es ist mein Wille, daß der Islam eure Religion ist. Ich habe meine Sendung erfüllt; hinterlassen habe ich euch das Buch Allahs und deutliche Gebote; und so ihr sie haltet, werdet ihr nimmer irre gehen.« Nach seiner Rückkehr nach Medina befaßte er sich wieder mit Rüstungen zu einem großen Zuge gegen Byzanz, doch erkrankte er während derselben an einem heftigen Fieber, in dem er vielfach phantasierte. Einmal noch flackerte die erlöschende Lebensflamme in ihm auf , und, während Abû Bekr an seiner Statt das Gebet leitete, erschien er plötzlich in der Moschee und hielt mit fester Sprache, jedoch den Tod im Auge, seine letzte kurze Ansprache an die Gläubigen. Wenige Stunden später, um die Mittagsstunde des 8. Juni 632, entschlief er sanft unter Phantasien vom Himmel und den Engeln in dem Schoß seiner Lieblingsgattin Aischa, seinen Gläubigen als Vermächtnis die Eroberung Syriens und im weiteren Sinne die Unterwerfung der ganzen Welt hinterlassend.

3. Der Koran

Während die Bibel ein Schrifttum repräsentiert, das sich über ein Jahrtausend erstreckt und von zahlreichen, zum Teil unbekannten Autoren herrührt, enthält der Koran (Lesebuch) durchweg allein das Wort Mohammeds von seinem frühesten Auftreten als Prophet an bis zu seinem Tod. Er ist aus 114 Suren oder Abschnitten zusammengesetzt, von denen jede wiederum in eine Reihe von
Versen (âjât = Zeichen) eingeteilt ist. Eine andre Einteilung ist die in 60 gleiche Teile (ahsâb) zu 4 Unterabteilungen oder die in 30 Sektionen (adschsâ) zur Lektüre im Fastenmonat Ramadân, von denen jede wiederum in eine Anzahl Unterabteilungen (rukû, Beugungen) zerfällt. Jede Sure ist nach einem in ihr vorkommenden Stichwort benannt. Die Diktion des Korans ist rhetorisch, in den ältesten Suren rhythmische, gereimte Prosa, die im späteren Verlauf allmählich immer nüchterner wird und nur noch den Endreim, oft gleichmäßig durch die ganze Sure, beibehält. Der Koran ward jedoch, wie er uns heute vorliegt, nicht von Mohammed zum Abschluß gebracht.

Die einzelnen Offenbarungen wurden anfangs nicht niedergeschrieben, so daß auch wohl kleinere Stücke verloren gegangen sein mögen; andere wiederum strich Mohammed oder änderte und ergänzte sie je nach vorliegendem Bedürfnis, so daß wir viele einander widersprechende Stellen antreffen, von denen nach der Lehrmeinung der moslemischen Theologen die späteren die früheren aufheben. Im ganzen sollen so 225 Verse aufgehoben sein. In späterer Zeit bediente sich Mohammed eines Schreibers, des Medinensers Seid ibn Thâbit, und nach der Tradition bestimmte er häufig, in welche frühere Offenbarung eine neue einzuschieben wäre. Neben den vorhandenen bruchstückartigen Niederschriften hatten sich jedoch auch zahlreiche Gläubige die Offenbarungen fest ins Gedächtnis eingeprägt. Als dann etwa ein Jahr nach Mohammeds Tod in der Schlacht bei Jemâma ein großer Teil der Gläubigen fiel, und mit dem Aussterben der Zeitgenossen Mohammeds die Gefahr nahe lag den größten Teil des Buches Allahs zu verlieren, ließ Abû Bekr auf Omars Rat durch Seid ibn Thâbit die zerstreuten Fragmente von den rohen Materialien, auf denen sie geschrieben standen, wie Dattelpalmblättern, weißen Steintafeln, ja selbst Knochen, sowie »aus den Brüsten der Menschen« sammeln und ordnen.

Seid verfuhr jedoch hierbei ganz willkürlich ohne den geringsten Versuch einer chronologischen Ordnung, indem er im allgemeinen die wichtigsten und längsten Suren mit ihrem gesetzgeberischen Element an den Anfang, die kürzeren und für den Aufbau der Gemeinde unwichtigeren an das Ende setzte, während gerade diese Suren die frühesten waren. Häufig scheinen die Suren nur aus lose aneinandergereihten Fragmenten zu bestehen, so daß der Koran ein unzusammenhängendes fragmentarisches Buch aus bunt durcheinandergewürfelten religiösen, moralischen, zivilen und politischen Vorschriften, nebst Ermahnungen, Verheißungen, Drohungen, langatmigen erbaulichen Geschichten alttestamentlich-jüdisch-rabbinischer, christlichapokrypher und legendär-arabischer Provenienz, und malerischen Schilderungen der Hölle, des Paradieses und des jüngsten Gerichts darstellt, in dem selbst die Angaben des mekkanischen und medinensischen Ursprungs einer Sure nicht immer zuverlässig und mekkanische Offenbarungen in medinensische, und umgekehrt, aufgenommen sind.

Das so entstandene Buch vertraute Abû Bekr der Obhut von Mohammeds Witwe Hafsa, der Tochter Omars, an. Da sich jedoch in den Text durch Abschriften mannigfache Fehler und dialektische Verschiedenheiten einschlichen, sah sich Othmân bereits wieder genötigt, den Text durch Seid und eine Kommission von drei Mekkanern kritisch sichten zu lassen, um die reine mekkanische Sprache, wie sie Mohammed geredet hatte, ein für allemal festzulegen. Die so gewonnene Textrezension wurde vervielfältigt und nach Einziehung und Vernichtung der vorhandenen Kopien in den Hauptorten des Kalifats verteilt und ist bis heute die maßgebende geblieben, in deren Abschriften sich nur ganz geringfügige Abweichungen, die später angewendeten Vokalzeichen und diakritischen Punkte der Konsonanten betreffend, einstellten. Die rätselhaften Buchstaben vor einer größeren Anzahl Suren spotteten bisher einer zuverlässigen Deutung, und die wahrscheinlichste Annahme ist noch die, daß sie die Initialen der Namen der Personen darstellen, von denen Seid die Kopien der betreffenden Suren erhielt. Bei alledem ist es jedoch als ein Glück zu betrachten, daß Seid bei der Zusammenstellung des Korans nicht auch noch versuchte die Lücken und Brüche im Text durch redaktionelle Glättung zu verwischen, da wir hierdurch wenigstens die Möglichkeit besitzen, das Material zu trennen, sichten und chronologisch neu zu ordnen. Als zuverlässigsten Anhalt hierfür dienen uns Anspielungen auf Ereignisse und Persönlichkeiten, die allerdings nur sehr selten vorkommen und meist sehr allgemein gehalten sind. Die arabische Tradition ist hierbei nur mit großer Vorsicht zu benutzen, da sie von Legenden überwuchert ist und für dunkle, nicht näher unterzubringende Stellen häufig Beziehungen erfindet. Wo solche Bezugnahmen nicht vorhanden sind, muß die Konjektur eintreten, gestützt auf den Stil, einzelne Ausdrücke und den Inhalt unter Berücksichtigung der chronologisch bereits festgelegten Abschnitte. So ergeht z. B. die Anrede »O ihr, die ihr glaubt« fast durchweg an die Medinenser, die Anrede »O ihr Menschen« an die Mekkaner .

Im allgemeinen lassen sich unschwer drei verschiedene Gruppen von Suren feststellen, nämlich die frühesten mekkanischen, hochpoetische Rhapsodien aus tiefster seelischer Erregung hervorsprudelnd und die zum großen Teil legislatorischen, in nüchterner Prosa geschriebenen medinensischen Suren. Dazwischen stehen die späteren mekkanischen, teilweise noch immer hochpoetisch, mit ihren glühenden Schilderungen des Paradieses, der Hölle und der Auferstehung, den Kampfreden gegen den Unglauben der Koreisch, den erbaulichen Erzählungsstoffen biblischjüdisch-rabbinischer, legendär-arabischer und christlich-apokrypher Provenienz und Beweisen von Gottes Einheit, Allmacht und Vorsehung. Die noch immer maßgebende Untersuchung über diesen Gegenstand hat Theodor Nöldeke in seiner Geschichte des Korans, Göttingen 1860, angestellt, nach welcher wir die chronologische Ordnung der Suren hier wiedergeben:

1. Periode. 1-5. Jahr von Mohammeds Auftreten als Prophet: Sure 96. 74. 111. 106. 108. 104. 107. 102. 105. 92. 90. 94. 93. 97. 86. 91. 80. 68. 87. 95. 103. 85. 73. 101. 99. 82. 81. 53. 84. 100. 79. 77. 78. 88. 89. 75. 83. 69. 51. 52. 56. 70. 55. 112. 109. 113. 114. 1.

2. Periode. 5. und 6. Jahr: 54. 37. 71. 76. 44. 50. 20. 26. 15. 19. 38. 36. 43. 72. 67. 23. 21. 25. 17. 27. 18.

3. Periode. Vom 7. Jahr bis zur Flucht: 32. 41. 45. 11. 14. 12. 40. 28. 39. 29. 31. 42. 10. 34. 35. 7. 46. 6. 13.

4. Medinensische Suren: 2. 98. 64. 62. 8. 47. 3. 61. 59. 33. 63. 24. 58. 22. 48. 66. 60. 110. 49. 9. 5. 4.

4. Der Islam

Die neue Religion, welche Mohammed stiftete und welche die Vollendung der früheren Offenbarungen sein sollte, ist der Islam, d. h. die Ergebung (in Gottes Willen). Einer, der sich völlig in Gottes Willen ergeben hat, ist ein Moslem. Die magna carta des Islams ist der Koran, der nicht allein Religions- sondern auch Rechts- und Sittencodex ist, indem der Islam das ganze religiöse, politische und bürgerliche Leben bis zu den alltäglichsten Vornahmen regelt. Wo der Koran nicht ausreicht, wird er durch die Sunna oder Tradition ergänzt, durch welche z. B. die Beschneidung, die im Koran nicht erwähnt ist, geboten wird. Wo Koran und Sunna versagen, tritt der Konsensus der höchsten Autoritäten der moslemischen Theologie, die zugleich auch Rechtswissenschaft ist, der Imâme, ein, die Idschmâ, und endlich in letzter Linie die Analogie oder Kijâs.

Die Grundlehre des Islams ist die denkbar einfachste: Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter . Das Paradies erwartet beim Endgericht als Lohn die Moslems, die diesen Glauben an Allah, den einigen Gott und Mohammed als seinen Gesandten bekennen, die Hölle nimmt die Ungläubigen auf . Der einzig neue Gedanke dem Judentum und Christentum gegenüber ist also nur die Lehre, daß Mohammed Gottes Gesandter ist. Die Pflichten, welche der Islam seinen Anhängern auflegt, sind:

  1. Das Bekenntnis, daß es keinen Gott als den (einen, wahrhaften) Gott gibt, und daß Mohammed sein Gesandter ist.
  2. Das Gebet, das nach vorausgegangener Waschung zu fünf festgesetzten Tageszeiten mit der Richtung gen Mekka stattfindet, und das aus gewissen gesprochenen Formeln, Koranzitaten und Körperverneigungen besteht.
  3. Das Fasten im Monat Ramadân von Tagesanbruch bis zum Sonnenuntergang.
  4. Die Armensteuer, welche den vierzigsten Teil des Besitzes beträgt und alljährlich, sei es in bar oder in Naturalien zu leisten ist.
  5. Die Pilgerfahrt nach der Kaaba im Pilgermonat Zulhiddscha, die jeder Moslem wenigstens einmal in seinem Leben unternehmen soll.

Zu diesen Hauptgeboten treten noch gewisse Speiseverbote, das Enthalten von Wein, vom Spiel, das Gebot der Gastlichkeit gegen den Fremdling, den Wandersmann, milde Behandlung der Untergebenen, der heilige Krieg gegen die Ungläubigen, u. a. Im einzelnen ist noch folgendes zu bemerken: Der einige, ewige, überweltliche Gott, der Weltschöpfer und Weltregierer, den Mohammed im Gegensatz zur Trinität oder, wie er sie auffaßt, dem Tritheismus der Christen, den Dualismus der Parsen und dem Polytheismus seiner Landsleute verkündet, und dessen Vollkommenheiten der Koran in neunundneunzig Attributen oder Namen auszeichnet, ist nach jüdisch-rabbinischem, in letzter Linie parsistischem Vorbild von einem zahllosen Hofstaat von Engeln umgeben, die ihn lobpreisen und Diener seines Willens sind; sie sind aus Licht erschaffen, sündlos und ohne leibliche Bedürfnisse. Unter ihnen ragen die vier Erzengel hervor: Gabriel, der »heilige Geist«, welcher den Koran Mohammed in Bruchstücken je nach Gelegenheit offenbarte; Michael, der Schutzengel der Juden, Isrâfil (Raphael), der die Posaune zum jüngsten Gericht bläst, und Asraêl, der Engel des Todes. Über Dschehannam (Gehenna), der Hölle, gebietet Mâlik als Höllenvogt, Ridwân ist der Pförtner des Paradieses. Zwei Engel stehen jedem Menschen zur Rechten und Linken, jegliche seiner Taten verzeichnend, und Munkar und Nakîr fordern die Verstorbenen in der Gruft zur Rechenschaft.

Der Teufel, Iblîs (Diabolus) oder Scheitân (Satan), war ursprünglich einer der Engel, der aus dem Paradiese verstoßen ward, weil er sich nicht vor Adam anbetend niederwerfen wollte. Unter den Engeln stehen die aus Feuer erschaffenen Dschinn, die zwar mit übernatürlichen Kräften ausgerüstet sind, aber doch alle leiblichen Bedürfnisse mit den Menschen teilen und gleich ihnen dem Tode unterworfen sind. Sie sind teils gläubig, teils ungläubig. Die ungläubigen Dschinn suchen wohl in den Himmel einzudringen und Allahs Pläne zu belauschen, doch werden sie dann von den Engeln mit Sternschnuppen beschossen und zu Asche verbrannt. Über den Engeln und Dschinn stehen die Menschen als höchste Wesensklasse, ohne Erbsünde durch den Fall Adams, dem auf Grund seiner Reue verziehen ward, aber doch infolge ihrer Natur zur Sünde geneigt. Die Offenbarung Gottes in der Welt ist sichtbar in seinen erhabenen Werken. Da sich die Menschen aber stets, vom Satan verführt, in Unwissenheit und Bosheit von ihm abkehrten, entsandte er an sie seine Propheten, als deren erster bereits Adam gilt; die bedeutendsten sind Abraham, der »Freund Gottes«, Moses, Jesus, der Sohn der Jungfrau Maria, ausgerüstet mit den deutlichen Zeichen und dem Geist, und endlich Mohammed, der letzte und vollkommenste aller Propheten, das Siegel der Propheten, der alle frühere Offenbarung bestätigt und abschließt.

Er ist bereits in den Schriften der Juden und Christen geweissagt, doch wurden diese gefälscht. Er ist ein gewöhnlicher Sterblicher, der Sünde untertan, der nicht gekommen ist mit anderen Zeichen und Wundern als allein den Koranversen als ein Warner und Freudenbote. Wann das Endgericht über die Welt kommt, das er verkündet, weiß niemand als Gott allein, doch werden ihm Wunder und Schrecken vorausgehen, als da sind die Erscheinung des Mahdis, des »Führers«, der in der Welt Gerechtigkeit herstellen wird, das Auftreten des Antichrists Ed-Daddschâl, die Wiederkunft Jesu, der dann sterben und in Medina begraben werden wird, das Losbrechen von Gog und Magog, die Posaune Isrâfils und der Untergang von Himmel und Erde. Andere Lehren des Islams wie die Prädestination und der Fatalismus sind nicht in aller Schärfe im Koran ausgesprochen. Neben Stellen, welche die absolute Willensfreiheit zu involvieren scheinen, finden sich Stellen wie: »Wir haben das Schicksal eines jeden Menschen um seinen Hals gebunden«, und »Allah führt irre, wen er will, und leitet recht, wen er will.« Daneben steht die Lehre von der »aufbewahrten Tafel«, aus welcher die Handlungen der Menschen von Ewigkeit her aufgeschrieben sind. Die Unbestimmtheit des Korans hierin und in manchen andern Punkten führte zu blutigen Religionskriegen und Sektenbildungen, während Mohammed doch ein deutliches Buch, an dem kein Zweifel sei, offenbart zu haben glaubte.

Die vier orthodoxen Schulen des Islams sind die Hanefiten, Schafiiten, Malikiten und Hambaliten. Die beiden großen Sekten des Islams sind die Sunniten, welche die Sunna, die Tradition von Mohammed, und die drei ersten Kalifen als rechtmäßig anerkennen, und die Schiiten, welche beide verwerfen. Eine der größten Schattenseiten des Islams bietet die von ihm zugelassene Polygamie, die Leichtigkeit der Scheidung, überhaupt die Minderwertigkeit der Frau, sowie das Institut der Sklaverei; doch ist hierfür Mohammed nicht so sehr verantwortlich; er trat auch hier reformierend und verbessernd auf , ohne sich gänzlich über die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit erheben zu können. Um zum Abschluß Mohammed und sein Werk einer kurzen Würdigung zu unterziehen, sei uns gestattet, die treffende Charakteristik Weils aus seiner Einleitung in den Koran hier anzuführen:

»In der Persönlichkeit Mohammeds, welche erst bei seinem Aufenthalt in Medina recht ans Licht tritt, nicht in der verschiedenen Auffassung der Lehre vom Sündenfall und der Erlösung oder im Leugnen der Trinität, namentlich der Trinität, wie sie zu seiner Zeit gelehrt wurde, ist der Verfall und einstige Untergang des Islams zu suchen. Christus blieb in allen seinen Lehren konsequent und besiegelte sie durch seinen Tod, Mohammed aber wich der ihm drohenden Gefahr aus und suchte durch allerlei Ränke und zuletzt durch Gewalt sich und seiner Religion die Oberhand zu verschaffen. Auch begnügte er sich später nicht damit, allgemeine Glaubenslehren im Namen Gottes zu verbreiten sondern auch seine positiven Gesetze und Verordnungen sollten als Emanationen des Himmels betrachtet werden, obgleich er selber durch Umstände genötigt ward, sie zu ändern, und zu wenig Herrschaft über sich besaß, um sich zuerst ihnen zu unterwerfen. Weil Mohammed selbst den Gläubigen nicht nur nicht ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen, sondern nicht einmal ein Vorbild der Tugend sein kann, ist seine Offenbarung zum toten Buchstaben geworden, unfähig die innere Seele mit wahrer Religiosität zu beleben. Wenn der Koran im Verhältnis zum Evangelium wie ein Anachronismus vor uns liegt, so ist es nicht, weil er einzelne Dogmen bestreitet, deren innere Bedeutung zu seiner Zeit noch gar nicht gekannt war, sondern weil er wie die Bücher Mosis Bestimmungen enthält, welche weder für alle Länder und Menschen noch für alle Zeiten nützlich und anwendbar sind.

Als Reformator, was Mohammed ursprünglich war und sein wollte, verdient er unsere volle Anerkennung und Bewunderung. Ein Araber, welcher die Schattenseite des damaligen Judentums und Christentums aufdeckte und nicht ohne Lebensgefahr den Polytheismus zu verdrängen und die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele seinem Volk einzuprägen sucht, verdient nicht nur den größten Männern der Geschichte an die Seite gesetzt zu werden sondern auch den Namen eines Propheten. Sobald er aber aufhört ein Duldender zu sein, sobald er der Wahrheit durch das Schwert den Sieg zu verschaffen sucht und im Namen Gottes neue Zeremonial-, Zivil-, Polizei- und Kriminalgesetze erteilt, drückt er sich und seinem Wort den Stempel menschlicher Schwäche und  Vergänglichkeit auf .«